Arunachala Tagebuch

 Foto by Bernd Kalidas Folry

Ein Reisetagebuch aus dem Jahre 2015

Was erwartet dich? – Immer wieder zieht es mich zum Arunachala, einem verehrten Berg in Südindien. Nach drei Jahren jetzt wieder in diesem Februar 2015. Ich unternehme eine weitere Pilgerreise, gemeinsam mit meiner vierjährigen Tochter. Hier kannst du einerseits über meine persönlichen Beweggründe zu dieser inneren und äußeren Reise lesen andererseits auch über unsere Erfahrungen um den Arunachala.

Pilgern? Ein Pilger ist ein Fremder. Jemand, der über ein fremdes Land geht. In einem erweiterten Sinn, vielleicht esoterisch stilisiert, – nun denn, schon auch gefühlt- pilgere ich seit meiner Geburt hier auf Erden, spätestens aber ab dem Alter von 23 Jahren, als ich mich Hals über Kopf und recht streng dem Spirituellen verschrieb.

  •  Wie erging es mir denn dabei als (erden-mutter-)losen, religiösen Schwärmer zu anderen Zeiten in Indien? (Seit 1993 verbrachte ich insgesamt wohl ganze drei Jahre in Indien)
  • Wo identifiziert sich in mir der spirituell Suchende als Opfer, und wo als Held? Kann Identifikation sinnvollerweise irgendwann auch ganz ausfallen?  – Nein nicht ganz, doch immer mehr: Ich werde dazu etwas mehr sagen und auf die “Advaita-Falle” eingehen.
  • Warum ich dann doch nicht Mönch wurde? Wie ich heute als Single,  “Familie”, Beziehungen und Gemeinschaft  ganz undogmatisch immer noch als höchsten spirituellen Weg ansehe?
  • Wie unvermeidbar, schmerzhaft und auch befreiend es sein kann, immer wieder zu scheitern!
  • Warum ich überhaupt vom Alpenland zu einem 900m hohen Berg in Südindien pilgere?
  • … und was meine kleine vierjährige Tochter schon vor ihrer Geburt damit zu tun hatte?

All das und vieles mehr, mir noch Unbekanntes ab 1.Februar direkt aus Indien in diesem Artikel.

3 monkeysDienstag 3.2.:  In der Herzlupe Shivas dünsten und verbrennen.

Ich schreibe heute mal etwas, weil ich es irgendwie versprochen habe. Irrwitzig, einen Blog zu organisieren, wo doch unter diesem besonderen Berg Arunachala schon bei sehr schönen Gesprächen tendenziell die Worte einfach nur geschluckt werden.

Natürlich produziere ich– wenn ich nicht allzu matt von der Hitze bin- viele innere Worte über Indien und seine Straßen- und Tempelszenen. Ich stelle sogar sichere Diagnosen über die ersten zwei Chakren Indiens und dann auch noch über das dritte Chakra speziell für manche Touristen Tiruvannamalais. Das ist der Ort an dem Naima und ich mich seit gestern Mittag befinden. Außer diesen meinen Diagnosen und der Umstand, dass der Vollmond, die vielen neuen Straßen-Eindrücke und Coca-Cola für die Kleine (Naima ist vier) zu sehr sehr sehr viel Kreativität führen (ich muss sie manchmal dreimal laut rufen, damit sie mich überhaupt bemerkt), ist alles verdammt okay hier. Mein stiller Freund Arne, der hier von seinem dreijährigen Mönchssein sich mutig wieder unter Menschen mischt, bekocht Naima und mich gerade und hört gern nickend zu.

Alle Worte sind zugleich eine Winzigkeit und eine große Verwirrung, denn zu sagen gibt es letztlich rein nichts im Angesicht dieses Berges und der Tiefe des Herzens hier. Trotzdem wäre es doch fein, ein paar Hinweise über unser Leben hier vermitteln zu können. Hinweise auf einen Sog des Herzens und der Präsenz, die seit Jahren schon so-sein.at begründen.

Also wir sind erstmal gut angekommen, das wollte ich kurz mitteilen.  Mein Kopf wird gut gedünstet, eine Vollmondnacht und eine Bergumrundung stehen vor uns.

KAM 080Mittwoch 4.2.: Einheitsbrei

Wenn also schon Worte, dann gern auch ein paar Schachtelsätze und etwas Spiegelkabinett-tagebuch Charakter. „Pilgern“ heißt also über fremdes Land gehen. Für mich hatte es meist etwas „edles Ritterhaftes“ mich abzuheben, fremd und anders zu sein. Ob ich mich gerade durch diese Einstellung in eben diese Lebenssituation manovrierte – natürlich ist das reine Ansichtssache und immer wechselhaften Gefühlen unterworfen, wie ich meine Situation nun selbst gerade einschätze – oder ob ich mit dieser Einstellung nur dem Kraft gab, was ohnedies vom Leben ausgedrückt werden wollte, …nun ja, das gilt es in meditativen Zuständen einfach nicht zu klären. Denn es wird klar: sowohl die Henne als auch das Ei waren zuerst und zuletzt da. Widersprüche, so etwas kennt nur das Denken. Nichts gegen Differenzierungen, nur manchmal werden sie eben in einen tiefen inneren Friedensbrei getaucht und verschwinden darin, meist tauchen sie etwas gereinigt wieder daraus empor. Das wäre nun ein Beispiel für Nicht-Dualität (Advaita Vedanta), für Meditation, die angestrengte Konzentration transzendiert hat. Zu den Sackgassen und Fallen des meditativen Advaitas komme ich noch. Es sei heute nur einmal bemerkt: So ein Sog in den inneren Friedensbrei, das passiert an diesem heiligen Ort halt gern von selbst, immer wieder, sehr oft am Tag, so zwischendurch. Zwischen neuen Prinzessinnen-Kleider kaufen  -Naima wollte eigentlich einen Sari und dunkle Hautfarbe, um so zu sein wie die Menschen hier- und ein paar geschickt gewobenen Straßen-Ärgernissen, die einfach so hochkochen und sich wieder legen.

Zu meiner inneren Einstellung „ein edler Fremder zu sein“, kam seit Mitte der 19neunziger Jahre etwas recht Bizarres: Zu dieser an sich schon trennenden Idee (jede Idee trennt sich ja in gewisser Weise vom so-sein lassen ab und weist auf etwas anderes hin) tauchte eine fast kriegerische und selbstzerstörerische Überzeugung auf, die hieß: „the shit hits the fan“ (auf gut Deutsch: alles wird immer beschissener, bevor es zerplatzt und transzendiert werden kann). Alle Pilger- und Heiligengeschichten, die mir unterkamen, hatten das selbe „Happy-Shity-End“: Von Ramana Maharishi bis Eckehart Tolle, von Jesus bis Mooji überall verstand ich nur: Alle Illusion muss sterben, damit das Wahrhaftige aufwachen kann. Da war für mein zielgerichtetes Denken die Ausrichtung also schnell klar. Statt mir etwas aufzubauen, sollte lieber alles trügerisch Sichere zerstört werden. Darin lag Hoffnung im inneren Nebel, aber auch arrogante Verantwortungslosigkeit eines Wohlstands-gebetteten. Den meisten Menschen ist irgendwie klar, dass das bisherige kapitalistische System nicht mehr lange wehrt, nur ich zog, die spirituelle Fahne schwingend, auch noch voraus ins Verderben. – Das sind starke Worte, irgendwo dazwischen liegt ein sich erweichendes Herz, Frust, viel Bemühung und Flexibilität. Und natürlich mehr Vertrauen ins Nicht-Wissen. Seit einem guten Jahr hatte ich mein Ziel erreicht: The shit has hit the fan every day in new ways. Nichts war mehr zu erklären, zu kontrollieren oder festzuhalten.

Schön wieder beim Arunachala zu sein, er holt mich nach wie vor ganz ohne Intention dort ab, wo ich gerade bin und klopft mir verwirrte Ideen aus der Manteltasche.

Wie ich Naima hier schon 2009 traf, als sie noch gar nicht auf der Welt war und wie ich jetzt versuche Kinder für sie zu finden, damit wir nicht allzu sehr aufeinander treffen, davon erzähle ich wahrscheinlich in den nächsten Tagen einmal.

big templeNacht auf Freitag, 6.2.   – Allerlei vertraut exotischer Alltag

Wie ernst manche Suchende sich abschneiden, wie absichtlich sie sich abtrennen vom Leben. Orangetragende Saddhus. Orange steht anscheinend für das Feuer des Lebens, dem sie entsagen. Sie geben das Feuer also ihrer Kleidung ab. Weißtragende Touristen. Religionen rund um zu viel Energie und rund um ein paar Erwachte, die auch längst vergessen haben, wer sie einmal waren. Lust auf Lernen – hat das nach der alten Schule nicht mit verspürtem Mangel und Sehnsucht nach anderem zu tun? Bevor noch die natürliche ungetrübte Neugier wieder entdeckt wird, für die dann wieder gelten darf: „Was Hänschen nicht lernte, lernt Hans mit Freude.“ (so ähnlich formuliert es glaube ich Arno Stern) – Wie überall ein Schrei nach echter Begegnung, ein Ende der Knechtschaft des männlichen Geistes. Herz-Verbindung zählen. De-sexualisierte Wesen schleichen im Off um den Schrein eines Verstorbenen. Ich gehöre zu einem großen Teil dazu. Es macht mich glücklich, ich vermisse nichts an diesem Kraftort.

Tiru(vannamalai) ist ein aufgedrehter oder überdrehter Shivakessel. Die 24-stündige Nähe zu meiner kleinen Naima, seit jetzt schon über einer Woche – wir haben zwar schon Kinder getroffen, doch so richtige Tobewichtel, wie Naima es gerade hier am Moped wird, gab es bisher nur eine einzige – das erinnert mich sehr an Naimas erstes Lebensjahr, als ich mir auch manchmal wünschte, dass sie sich doch nur ein klein bisschen verletze, damit sie doch nur ein bisschen gedämpfter sei. Als ich ihre Seele hier 2009 an diesem feurigen Berg traf, war ja eigentlich schon vorprogrammiert, dass es ein feuriges Kind sein würde. Arunachala ist feurig, er kocht mit allen Gewürzen. Auch als ich dann Naimas Mama kennenlernte, war in kürzester Zeit meine Umgebung farblich orange und rot und nicht mehr blau, grün und weiß wie zuvor. Dieses Farbenspiel passiert ganz von selbst und hat sogar noch viel ältere Wurzeln, in europäischen Adelsgeschlechtern. (- Naja, vielleicht ein andermal mehr dazu…) Heute bei der Schneiderin entschieden wir uns jedenfalls für blaue und türkise Stoffe. Kühlendes Joghurt und Bananen helfen auch. Vorausgesetzt man wartet nicht eine Stunde darauf. Unglaublich, es waren nur drei Tische in einem recht großen „Tibetean Restaurant“ besetzt.

Wie sieht denn unser Tag so aus?

Wieder „Hallo“ sagen. Viele Inder erinnern sich an mich. Das freut und wundert mich. Ich hab vor Jahren hier wirklich gelebt, manche wissen auch noch, dass ich vor drei Jahren das letzte Mal hier war. Manche Touristen kommen auch immer wieder oder fahren gar nie fort von hier.

Wenn wir nicht im Ramana-Ashram Affen; Kühe und Pfauen bestaunen, während ich nebenbei in herzverzückende Samadhis verfalle, dann checken wir wie zu Hause auch hier den ganzen Tag herum. Mit unserem schnellen Moped mit der kleinen Hupe. Alles dauert länger und hat mit diesem Klima, der Vegetation, den vielen freundlichen Blicken und der Geräuschkulisse für mich halt was Altvertrautes, recht Freies und Konsumrauschiges. Zu planen gibt es immer wieder wohl etwas, doch an der Verwirklichung festzuhalten bringt hier schon extra nichts, denn jeglicher Versuch von Logik wird von Shiva sofort boykottiert. Als ginge es nur noch darum energetische Qualitäten auszudrücken, lineare zeitlich und örtlich gebunden, oder gar kausale Geschichten zerinnen einfach, sie rutschen am Moment ab. Da setzt sich eine schweigsame Kommunikation einfach an einem anderen Ort ungeplanter Weise nur fünf Minuten später fort. Zuerst mit der selben Person, dann setzt sie sich noch ein drittes Mal fort, allerdings mit einer anderen Person, die nur zufällig die gleiche Qualität wie die vorige hervorruft. Das muss jetzt für Menschen außerhalb Tirus wirklich gar keinen Sinn ergeben. Doch Synchronizitäten hat man ja vielleicht schon erlebt. Hier sind sie Alltag.

Naima wird fotografiert, freundlich belächelt. Sie wird in die Wangen geknufft. Ich schütze sie immer wieder mal. Will sie gerade wirklich fotografiert werden? – Wenn die wüssten, dass sie ihren Namen schon schreiben kann, dann müsste sie auch noch Autogramme geben. „Where is your mum?“ Vater und Tochter reisen allein, die Mutter ist auf Musik-Tournee. Man wundert sich über Foreigners insgeheim, oder bewundert sie manchmal auch. Wer weiß? Wir haben nicht nur verdammt viel Geld, sind zugleich knausrig und aufgeregt verplant, crazy…wir sind einfach Fremde, an denen man gut verdienen kann. Vor drei Jahren noch kostete ein kleiner Chai 3.- bis 5.- Rupees, heute sind es schon 20.-

Naima träumt in der Nacht von Kleidern, die alles verbinden, von ganz besonderen Kinder Saris und von dunkler Haut. Und natürlich von dem irr fließenden Straßenverkehr hier. Wie schön still um mich die Nacht dann ist, Zeit zu schreiben und mich schlucken zu lassen von Arunachalas Präsenz. Begleitet von Zikaden und immer noch fernen Hupen. Zu Hause fühl ich mich hier, wenn es still um mich wird.

indien5Montag 9.2.  – im sicheren Spirit “Leo”

Gibt es wirklich etwas zu schreiben? Ich stelle mich oder uns wohl hier selber mehr vor als Tiruvannamalai und seinen verehrten Berg. Da diese Einträge aber doch von manchen gelesen werden und ich einfach gern schreibe, schreibe ich also weiter.

Vielleicht ist es für viele Westler in Tiru wie in einem „sicheren Leo“ im sonst dramatischeren Spiel des Lebens. Weniger ein gesunder Rausriss, als ein Art Himmel in der Dualität. Sprich, ich sehe im Ramana-Ashram* verbitterte und ernste Gesichter, verkrüppelte Körper, die doch so schönes Licht und Hoffnung ausstrahlen. Und diese Betrachtungsweise ist keine gewählte oder erlernte, er-meditierte oder sonstwas, sondern sie liegt einfach in der Luft. Natürlich wechseln die Befindlichkeiten, es ist immer wieder hitzig, intensiv und kocht allerlei Vasanas (Muster) sehr verspielt, subtil, unerwartet, geschickt hoch.  Doch es ist eben alles spürbar aufgehoben in einem guten, alles durchdringenden Geist. Es ist nur eine Frage der Zeit und schon drehen sich die Befindlichkeiten auf unberechenbare, witzige Weise immer wieder um, jeweils umgeben von einer satten, unpersönlichen, tiefverwurzelten Zuversicht.

Wie steht es aber mit dem ersten Chakra und was Tiru-Fans vielleicht verbindet?

Mit Naima war es gestern ziemlich anstrengend, da sie einfach ihre Selbstbehauptung und ihr Wollen fortsetzt, auch wenn ich in dünnem Nervenkleid, etwas abwesend, in kurzen Abständen nur noch Flüssiges ausschied. Körperliche Reinigung, die vielleicht auch etwas an ein Thema und an ein Gespräch anknüpft. Ein Gespräch mit unserer Reisebegleitung aus Berlin, namens Manuela, die vorgestern hier angekommen ist. Ein Gespräch über Borreolose im Zusammenhang mit dem ersten Chakra und über das geistige „Leo“ in Tiru. Ein Gegenmittel für Borreolose ist die Karde, eine stachelige übergroße Distel. Sie steht für klar definierte Abgrenzung. Ohne Grenzen keine Einheit, ohne Unten kein Oben, ohne Nein kein Ja. Hier in Tiru schreibt sich das gar nicht so leicht, denn es ist so spürbar, dass die Nicht-dualität alles durchdringt. Dass vieles einfach nicht so wichtig ist, dass man es entspannt so sein lassen kann. – Doch sind das hier alles eben Worte, Worte die das innere Reptil gar nicht versteht. . Als ganzheitliche menschliche Erfahrung hier auf Erden ist es nicht vorgesehen, die Schlacht des inneren Raubtiers auszublenden, auch hier nicht. Wie ist es möglich, dass das innere Reptil hier so eigenartig befreit wird, so kraftvoll und doch segensreich eingebettet?

In Tiru am Fuße des Arunachalas kann ich bis dato nicht länger als ein paar Sekunden wütend, traurig oder depressiv sein, hier kann Wut, Traurigkeit und Depression aber gut gesehen werden. Die Herkunft wird klar und irgendwie liegt fast eine Freude darin, Wut, Traurigkeit und Depression verspielt auszuleben.

Ein innerer Anspruch bleibt immer noch bestehen, seit ich zum ersten Mal in Indien war (Die Essenz Indiens war seit 2006 dann für mich in Tiruvannamalai aufgehoben):Diese innere Erfahrung des Einsseins, des Nicht-Dualen in mein Leben nach Europa zu importieren. Lust und Frust, Macht und Ohnmacht dabei, und was uns Tiru-Fans im Umgang mit dem Westen vielleicht verbindet, das möchte ich in den nächsten Tagen hier skizzieren.

*Ramana war DER Weise, der hier bis Anfang der 1950iger Jahre lebte. Auf ihn berufen sich viele seine Nachfolger.

indien2Dienstag 11.2.  – Ständiges Köcheln einem gelösterem, ausgeglichenerem Zustand hinzu

Wie frei sich Naima hier bewegt! Wie sie mit Kindern spielt oder im Ramana Ashram die alten Inder bollywood-neckisch mit ihrem blauen Augen verzaubert. Hier kann sie die Prinzessin sein, die sie von Barbie eingeimpft bekommen hat. Hier brennt das Feuer der Existenz fast sichtbar und sprudelt all die inneren Qualitäten, Färbungen, Verkrümmungen bis zum Loslassen hoch, so dass sie sein können ohne dass irgendetwas daran anhaftet. Das Resultat: bedeutsame, einzigartige, wunderbare Unwichtigkeit – nicht zu verwechseln mit zynischer Gleichgültigkeit, die im besten Fall wohl eher etwas, gröberes Entspanntes hat. Auch abends, in Stille und beim Herumsitzen lodert es immer weiter, dies lebendige Feuer der Präsenz. Als hätte die Präsenz greifbare Gestalt.

Naima musste heute von einer Wandkante gestoppt werden. Ist nur ein blauer Fleck, aber leider halt ein notwendiger, der sie recht früh in die Nachtruhe schickt, nach soviel Tanz, Menschen, Eindrücken und Besserwissen. Ich hab eine Wasserflasche mit Arnica aufgeladen, doch sie schläft bereits tief. Unsere Rescue-tropfen wurden heute Früh auf halber Berganhöhe leider von Affen gestohlen.

Bei Touristen fällt der tägliche indische Existenzkampf weg. Auch wenn vielen Reisenden seit Jänner 2015 die Geldkarten für Asiens einfach ungefragt gesperrt wurden, können sie diese (recht !) einfach wieder telefonisch entsperren. Generell überleben sie gut. Sie müssen als Konsumierende auch nichts Besonderes umsetzen oder nichts Bestimmtes wollen, können sich ganz dem Sein hingeben. So privilegiert angereist, aber deswegen nicht unbedingt weniger gestresst, sind sie. Denn wir alle kiefeln an unserem Karma, an unser uns eingeschriebenen Natur:

– Flügge Suchende im Hexenkessel der Transformation. Mit der Vergrößerungslupe des Bewusstseins wird manches schneller wahrgenommen, es wirkt plötzlich als sehr viel, wenn es still wird. Stille verordnet zu noch mehr Stille. Meditation verordnet, ständiges Runterkommen verordnet. Runterkommen von so vielem alt Eingespeicherten. Runterkommen und Hinschauen zu den Kriegen unserer Ahnen. Gesegnet in einer Zeit der Aufarbeitung zu leben, bisher für mich ohne Krieg.

Zu meinem anspruchsvollen Import des indischen Einsseins nach Europa: Indien hat mich nie losgelassen, die Tiefe der Erfahrung seit 1993 hat mich manchmal glauben lassen etwas übermitteln zu müssen. Ja, noch eine schlimmere Beschäftigung und Ablenkung hat mir diese tiefe Lebensfreude beschert: Sie hat mich in eine unberührbare, angespannte Heldenrolle gedrängt. Es war mir eine große Lust (über)gewichtige Aufgaben auf mich zu nehmen. Doch des Helden Tod ist folgender Drache: Was nämlich, wenn der Held gar nicht als Held gesehen wird, wenn seine Herangehensweise weder verstanden noch gewollt wird ? Wenn erstmal mittelmäßige Sicherheit, oder Erfolg im Geld-laufrad die wichtigsten Werte sind, statt das Aufspüren der eigenen Dunkelheit ? – Nun Schicht für Schicht, Step by Step. Bei meinem Yogaunterricht rede ich kaum über Theoretisches. Dass in der Dunkelheit das größte innere Wachstumspotential steckt, das können gar nicht so viele nachvollziehen (du, liebe*r Leser*in schon, oder?) – für viele klingt es nur abschreckend, religiös oder sonst irgendwie verkorkst, …wie man sich dann dem eigenen Unbewussten annähern mag, das steht jedoch in einem anderen Kapitel und wie stark das innere Intentionsfeuer und die Hingabe ist, seiner eigenen Natur treu zu bleiben, das steht wieder in einem ganz anderen Kapitel.

-In der Flamme des Bewusstseins verbrennt jegliche Trennung. Denn sie ist Illusion. Und doch bleibt uns keine Freude erspart: wir identifizieren uns, es ist gar keine niedrigere Ebene. Wir spielen, das Leben verlangt es von uns. Es als Spiel sehen zu können ohne dabei gleich das Leben zu verlieren, diese Komplexität gelingt der Liebe. Aufhebung von sich anziehenden Gegensätzen in eine höhere Komplexität, ständiges Köcheln einem gelösterem, ausgeglichenerem Zustand hinzu – die Liebe kann es. Dass das alles andere als romantisch sein kann, dass man das nie wollen würde, wenn man wüsste, wie ganz ganzheitlich eigentlich sein kann, das bringt Benjamin Smythe in diesem Video gut rüber. Find ich.

Da fällt mir doch ein Ausblick in der Einleitung ein: Warum ich dann doch nicht Mönch wurde? Wie ich heute als Single,  “Familie”, Beziehungen und Gemeinschaft  ganz undogmatisch immer noch als höchsten spirituellen Weg ansehe? – mehr davon in Kürze. – Es geht uns echt gut hier in Tiru.

silent street tiruSamstag 13.2.  – Wieso also Beziehung statt Mönch sein?

Ich singe seit Tagen wieder beim Moped fahren. Sehr sehr süßliche Kokusnuss-Tage. Mit Sunrise-Smoothie unter Palmen. Naima und ich haben uns beide Künstlernamen zugelegt. Sie heißt Emily Erdbeer. Nein, sie heiße eigentlich zur Zeit wirklich so. Und wie heiße ich gerade? – “Blumenar” – Wer wissen will wie es dazu kam, der muss hier unten schon zumindest mal einen Kommentar hinterlassen.

– Etwas verschlossen und ernst, fast leblos wirken manche Menschen hier, die lange nur nach innen schauen. Doch ich traue meinen Pauschalurteilen und Diagnosen kaum mehr. Schnell sind ein paar Fakten (wie z.B. Zunahme vergewaltigten Touristinnen) mit einer sicheren Intuition vermischt zu einer kausalen Sichtweise zusammengereimt. Überall sind sie diese zusammengereimten Geschichten, die wie in Wellen herumerzählt immer mehr zur „Realität“ und so zur Handlungsgrundlage werden. Dialoge in Chai-shops, die doch immer mehr über die Erzähler erzählen, als über das bare Leben.

Gibt es eine größere, liebende Intelligenz hinter den Erscheinungen, die die Erscheinung selbst zur Illusion werden lassen kann? Jahrelang dachte und fühlte ich so, dass ich nur hinter den Schleier, also hinter die Erscheinungen kommen müsse, und dass das dann das „Aufwachen“ sei. Immer noch fühle ich den projezierten Dialog mit dem Unbekannten, mit dem Größeren. Doch fiel mir dabei gar nicht auf, was diese Sichtweise mit sich trug. Wie unbewusst dabei meine Favorisierung der „Nicht-Dualität“, des größeren Geistes, der angenommenen größeren Intelligenz war. Ich machte mich klein. Ich dachte die noch nicht eingetretene Einheit sei besser als die gefühlte Getrenntheit. Doch das war ja eben die Dualität und der Schmerz, die Sehnsucht, das ewig Religiöse. Diese positive Projektion auf was Größeres, sei es das Göttliche, das Geldsystem („die unsichtbare Hand des Marktes“), ein großes Projekt oder eine Partnerschaft bleibt eine unbewusste Opferhaltung, die Enttäuschung mit sich bringt. Letzlich ist doch eins gleich zwei. Und zwei ist gleich eins. Ein wunderschöner ewiger schleiernder Tanz unterschiedlicher Perspektiven. –

Vertiefung dieser Erkenntnis, dass weder Einheit noch Zweiheit zu bevorzugen sei, sondern dass diese Perspektiven ineinander pulsieren hin zu einer im Innen verankerten Erfahrung, das dachte ich, gelänge am besten über die Verletzlichkeit innerhalb einer sich vertiefenden Liebesbeziehung, nicht im Mönchssein. 2003 hatte schon alle Kontakte, um zumindest für ein halbes Jahr Waldmönch in Asien zu werden. Doch eine innere Stimme und eine Begegnung sagten mir, dass Beziehungen und das Leben selbst der effizienteste und schwierigste Weg sei. Es sollte aber noch länger dauern und es war dann wohl die sturste, anstrengenste, schmerzlichste und zugleich wirklich transformierenste Kraftanstrengung bis ich wirklich durch Beziehungen zu einem etwas authentischeren inneren Frieden gelangen konnte.

Den unbewussten inneren Schmerz aufdecken, ihn sein lassen statt ihn abzuwehren und so authentischen inneren Frieden erlangen, das würde wohl ein Mönch nicht anders sehen. „Nichts mehr wollen“, das kann man natürlich nicht wollen. Das kann einem nur passieren oder das kann man sich vormachen, dass es einem passiert sei. Auch sehr schmerzlich. Der wirkliche innere Schmelzprozess hin zu innerer Ausgeglichenheit und Lebensfreude passiert hier am Fuße des Arunachalas ständig, von selbst, als Mönch, mit oder ohne Beziehungen.

“wenn die sinnlosigkeit des relativen lebens mal angefangen hat dich zu vernaschen, dann hast du keine chance mehr. jeder versuch dann noch sinn im relativen leben zu finden tut nur höllisch weh.” Karl Renz sinngemäß zitiert aus einem Interview mit Teresa Arrieta

Nichts mehr wollen, im Frieden mit allem sein“. Das ist sowohl für die Wirtschaft als auch für die westliche Ethik eher nihilistisch, nicht produktiv und auch nicht sehr beziehungs-kreativ. Doch es handelt sich dabei nur um ein sprachliches Missverständnis, das aufgrund des Fehlens einer innerer Erfahrung entsteht. Nichts mehr zu wollen und in einer natürlichen, entspannten Verbindung zu sein mit allem, was ist, das kann ein sehr kreativer und auch produktiver Zustand sein. (Auch wenn letztlich die Resultate, die durch diesen Zustand erzielt werden sekundär sind.) – Halt, ich hab den Verdacht, dass die Menschen, die mich hier lesen, das entweder ohnedies wissen oder aber ihre handfesten Zweifeln mit dieser Schreibe haben. Darum:

Wie wäre es mit handfesterer Psychologie statt mit Meditation? – Wieso also Beziehung statt Mönch sein?

Am Punkt gebracht: Es geht in der Welt der Erscheinungen (also unserer handfesten Sinnes-Realität) immer um Liebe, um anerkennen und Anerkennung oder um einen Schrei danach. Sehr viele kennen diesbezüglich wohl folgende Erfahrungsbogen: Alles mit jemanden teilen können bis gar nichts mehr teilen, austauschen können mit diesem jemanden. Communication Breakdown. 

Was ich am Mönchsweg zu vermissen glaubte: Es ist eben ein Geschenk von partnerschaftlichen Liebesbeziehungen, wenn diese Verletzlichtkeit des inneren Stolzes, das ständige Angetriggertsein des inneren Kindes dazu führt, dass uralte Verhaltensmuster und Projektionen erkannt und somit nicht mehr mit voller Kraft ausgelebt werden. Abnehmender Lebens-Intensität? Nein,im Gegenteil: Der Blick fürs Wunder wird immer größer. Statt noch mehr Krieg zwischen den Geschlechtern ist so persönliche Entwicklung „zum Unpersönlichen“ hin möglich. Dann nährt sich das nur Trennung behauptende Muster nicht. Es kann nicht bestehen bleiben.

Diesen Weg manchmal gemeinsam gehen zu können, das sind segensreiche Momente, die natürlich auch im Erfolg wiederum neue Angriffsflächen für verwirrte Projektionen bilden. Die wirklich wichtigen Schritte muss man wohl alleine machen oder in Versenkung über sich ergießen lassen. Die eindeutige Überschrift des heutigen Eintrages verliert daher ihre Eindeutigkeit. Das Leben im Alltag meiner Beziehungen bleibt der Reality-Check für mich. Für weiter Interessierte empfehlen wir uns …und Arjuna Ardagh.(Youtube) … Vielleicht bald mehr.

zu mieten bei www.martinahoess.atSonntag 15.2 Kunst aus Tiru

Vielleicht kennst du diese heilsamen Bilder von Martina Höss? Durch Martina kam ich 2006 in Kontakt mit Ramana. Martina nahm mich auch an der Hand und führte mich zum ersten Mal nach zum Arunachala.  Ich mag ihre Bilder sehr und gemeinsam haben wir ein Stille Angebot für alternative Feste. Tiru ist jedenfalls auch ein Platz der Kunst, des Bakthis, des Ausdrucks in Ritualen und Kunstwerken. Konzerte, Ausstellungen, jedenfalls ein inspirierender Ort für viele. Am Sonntag gibt´s öfter einen Kunstbazar in “Ranis Garden”.

In Bayern traf ich einen Künstler, der sehr lange hier am Fuße des Berges Arunachals gelebt hat und folgendes Gedicht hier verfasste.

“Auf der Suche – von Werner Shazada

Ich suchte die Wahrheit und wollte sie fassen

doch etwas in mir konnte nicht lassen –

zu glauben, dass ich was besseres SEI

und dieser Irrtum war wie ein Brei.

Ein Brei – der mein Herz im Innern verbarg

ich fühlte mich lange wie in einem Sarg.

Nur manchmal konnte ich das Licht kurz sehen

und versuchte ganz wild – alles zu verstehen –

Doch kurze Zeit später war ich wieder allein,

und quälte mich in noch größerer Pein.

Was ist nur geschehen, wo ist sie die Liebe?

Ich war schon wieder ein Sklave meiner Triebe.

Ich wollte für mich in Freiheit sein,

und vergaß ein Diener der Liebe zu sein.

Die Liebe strahlt ganz sonnenklar

und zeigt mir wie es immer war.

Ich kann sie nicht ändern, mich ihr nur ergeben,

und plötzlich erwacht alles zum Leben.

Was eben noch außen und fremd mir war

berührt mein Herz und mir wird klar:

Ein Wunder ist es am Leben zu SEIN

und darum kann ich dankbar SEIN.

Es war mir vertraut über alles zu richten,

so konnte der Schleier sich einfach nicht lichten.

Ich wusste ständig über alles Bescheid

und musste deshalb ertragen viel Leid.

Nur manchmal wird es mir plötzlich klar,

dass meine Rechthaberei die Ursache des Leidens war.

Ein Moment der Stille öffnet mein Herz

und all der Unsinn wird einfach zum Scherz.

Ich bin ganz verdutzt und fang an zu lachen:

Wie konnt ich mich nur so zum Narren machen?

Die Freude erwacht – es ist ein Genuss –

Ich gebe im Innern allen einen Kuss.

Ich kann es kaum fassen – es ist eine Wonne –

Der Irrtum schmilzt in dieser Sonne.

Die Wahrheit strahlt ganz sonnenklar

und zeigt mir wie es immer war.

Ich kann sie nicht ändern, mich ihr nur ergeben

und plötzlich erwacht alles zum Leben.

Was eben noch außen und fremd mir war,

berührt mein Herz und mir wird klar:

Ein Segen ist es am Leben zu sein

und darum kann ich in Frieden sein!

Die Zeit ist reif, wir müssen es wagen

im Innern die heiligen Kräfte zu tragen.

Nur die Liebe kann uns wahrhaftig segnen

und in der Wüste wird es regnen.

Blumen der Liebe, blühn dann auf allen Wegen

und das ist wahrhaftig der größte Segen.

Wir glauben oft einsam und hilflos zu sein,

doch das bilden wir uns einfach nur ein.

Wir sind EINE Seele, das siehst du doch ein –

oder glaubst du  noch immer alleine zu sein?

Der Hang zum Alten ist noch sehr groß,

drum gib deinem Herzen einen kleinen Stoß –

Nur die Liebe kann uns vom Irrtum befreien,

drum sollten wir dienen und dankbar sein.

Die Liebe strahlt ganz sonnenklar,

und zeigt uns wie es immer war.

Wir können sie nicht ändern uns ihr nur ergeben,

und dann erwacht alles – zu neuem Leben.

Was eben noch außen und fremd uns war

berührt unsre Seele und uns wird klar:

Die Einheit regiert unser ganzes SEIN

und darum können wir Liebe SEIN.”

indien6Sonntag, 22.2.  Abschied

In ein schläfriges Delirium versetzende heiße Mittage. Es gibt also noch mehr gar nichts zu sagen. Ich könnte gut und gern hier bleiben, doch Naima hat in Österreich ihre Mama, ihren Kindergarten, ihr zu Hause. Gute Gründe zurückzufliegen. Dass manche meiner Themen in diesem Feld und der Tradition Ramanas, dem Advaita oder der Selbst-befragung (fußnote: Die Frage „Wer bin ich?“ löst dabei sukzessive alle Gedanken auf. Unterstützt von dieser hochschwingenden, fast flüssigen Realität hier, die in mir keine Überzeugung lange wehren lässt.) vielleicht nicht gelöst werden, da sie relativ leicht, mit einem knöchern nach innen gerichteten, unbewussten und kreativ-flexiblen mind umgangen werden können, das stört mich gerade nicht. Nicht mal mehr bei anderen stört mich das. Manchmal.

Ich bin angekommen hier, und in Kürze geht es wieder zurück in den Winter. Das paradoxe Mysterium der Lebendigkeit zeigt sich in vielen Begegnungen. Freuden, Erwartungen, Enttäuschungen, in lebendiger Stille. Dankbarkeit erfüllt mich. Dankbar auch für die intensive Zeit mit meiner wunderbaren Tochter.  Ans Meer kommen wir nicht mehr (denn aus dem heißen, staubigen Tiru kommt man so leicht nicht raus), stattdessen darf sie im Mai ans kroatische Meer mitfahren. Sie wird so vieles nicht vergessen, was sie hier zum ersten Mal sah. Manches war auch für mich neu: Z.B. eine lebendige, verehrte Kuh mit einem Extra-Fuß am Rücken. Als Teil eines wandelnden Minizirkus´.

Ich wünsche uns eine gute Heimreise nach Österreich.

Herzensfrieden dir, liebe*r Leser*in, Sascha-Kassi

i am not a guru

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